Klimaforschung auf Eis legen (Teil 1 von 2)

Aletschgletscher by Silvan Arnet

(Teil 1 von 2)

Forschung soll Erkenntnisse zum Wohl von Mensch und Gesellschaft hervorbringen. Ob dies im Fall der naturwissenschaftlichen Klimaforschung noch so ist, muss bezweifelt werden. Sie könnte gar eine Falle sein. 

Die Schweiz ist in dieser Forschung Spitze. Ein paar Zahlen älteren Datums zeigen die Dimension: Von 2001 bis 2009 sind gemäss Nationalfonds im „Forschungsschwerpunkt Klima“ 110 Millionen Franken verforscht und in 519 Artikel, 1676 Konferenzbeiträge, 982 Auftritte und 15 Dissertationen gegossen worden. Und es dürfte in dieser Grössenordnung weiter geforscht worden sein – doch aller Erkenntnis zum Trotz, ist damit kaum etwas geschehen. 

Wir wissen bloss mehr: Zum Beispiel weiss man dank Tiefenbohrungen im ewigen Eis der Antarktis, dass sich in die vier bisher bekannten Eis- und Warmzeiten vier weitere einreihen. Und dank der Zirkumpolarstrom-Forschung weiss man nun, dass auf dem Höhepunkt der letzten Warmzeit vor ungefähr 120‘000 Jahren es weltweit im Schnitt 1,5 bis 2 Grad wärmer war als heute. „Der Zirkumpolarstrom könnte sich also im Zuge der globalen Erwärmung beschleunigen.“ (BUND, 2.12.21). Und dank verfeinerten Computersimulationen kann man immer präziser voraussagen, welcher Gletscher wie viele Meter pro Jahr schmelzen wird ...

Warum passiert nichts?

Die Publikationsmenge ist gewaltig. Allein was der Weltklimarat IPCC an Forschungsresultaten publiziert hat, ist eindrücklich. Weniger eindrücklich sind die Folgen daraus. Gewiss, das UN-Klimaabkommen wurde 2015 in Paris unterzeichnet – und dass dem so geschah, ist zu einem guten Teil der Klimaforschung geschuldet. Indes ist seither kaum etwas geschehen, bestenfalls wurden Absichtserklärungen abgegeben, wie letztes Jahr in Glasgow.  

Warum geschieht trotz 99 Prozent Einigkeit unter Klimaforschenden kaum oder erst sehr zögerlich wirklich Relevantes? Unter anderem wegen der Kohle-, Gas- und Öllobby, die ihr eigenes Überleben über das des Planeten stellt. Sie schafft es, diesen immensen Forschungsaufwand zu unterminieren und dafür zu sorgen, dass weder die nationale noch die internationale Politik handelt. Mit Lobbying an Klimakonferenzen. Und indem sie eine Gegenstudie in Auftrag gibt und diese gezielt verbreitet. Mit Wirkung. Ein Beispiel: Anfang der 2000er Jahre bemerkte die Öl- und Gasindustrie der USA, dass die Mehrheit der US-Wähler:innen die Einführung einer Kohlenstoffsteuer befürwortete. Sie startete eine Kampagne in die sie mehr als 500 Millionen Dollar investierte. Eine Schlüsselstrategie bestand darin, die Klimawissenschaft zu diskreditieren, indem sie Stimmen des Zweifels säte und verstärkte. Der Kampagne gelang es, die öffentliche Meinung in den USA umzustimmen (aus Otto Scharmer’s Blog zum Ukraine-Krieg). 

Gleiches in der Schweiz 2021: Die Öllobby verbreitete mit viel Geld die Botschaft, Benzin und Heizöl würden massiv teurer, und schaffte es so, das CO2-Gesetz zu versenken. Es sind nicht nur die Dealer, sondern auch die Abhängigen, die keine Änderung wollen. 

Genug geforscht

Mehr der Forschung bringt es nicht. Sie ist nicht nur überflüssig, sondern sogar kontraproduktiv. Jedes neue Resultat naturwissenschaftlicher Art basiert methodisch auf Reduktion - und eine Reduktion lässt sich immer hinterfragen. Genau verstehen lässt sich das Klima ja nie, aber tief genug verstanden ist es, um die Folgen des Klimawandels genügend genau zu kennen. 

Mehr der Analyse führt zu Paralyse statt zu Aktivität. «Klimawandel-Profiteure» streuen Zweifel, sprechen von Klima-Hysterie oder fordern genauere Abklärungen, um nichts tun zu müssen. Das ist, also ob ein Arzt beim Kind «Erde» feststellte, es sei krank und wenn man nichts unternehme, werde das Fieber allerhöchstwahrscheinlich steigen. Doch die Eltern sagen: «Nein, tun Sie lieber nichts. Wir wollen zuerst genauer wissen, was das Kind hat.» 

Solche Klimaforschung wirkt so, wie wenn immer mehr Feuermelder installiert werden, die immer lauter Alarm schlagen, doch es wird nicht dafür gesorgt, die Brandherde einzudämmen, noch dass das Feuer gelöscht wird. Was nützen da mehr Feuermelder?

Wir brauchen also nicht mehr Forschung, sondern dass das Wissen endlich zu Konsequenzen führt. Was wir brauchen, ist das Wissen darüber, wie Wissen zu handeln führt - zum Beispiel zum Begehen von klimafreundlichen Wegen, die den Reiz eines suffizienten Lebens aufzeigen.

Das Wissen darüber, wie klimafreundliches Verhalten angeregt werden kann, ist auch schon gross - auch das wurde schon breit erforscht. Noch breiter erforscht hat die Sozialpsychologie, was warum nichts bringt.

Informationen wirken nicht aufs Verhalten

Nicht nur die Wirtschaftslobbys sind ein Problem. Auch die Umweltorganisationen können es sein, weil sie sich oft wie Feuermelder verhalten oder weil sie glauben, dass Menschen ihren inneren Öko-Schweinehund überwinden, wenn sie mit wissenschaftlich fundierten Informationen gefüttert werden und danach dankbar Umwelttipps Folge leisten. Das scheint zwar einleuchtend, doch weiss man aus der Sozialpsychologie seit langem, dass solche Aufklärung wegen der Allmende-Klemme und dem Rebound-Effekt nicht funktioniert (mehr zu diesen Effekten auf Wikipedia oder hier “Wenn Umweltschutz einladend ist”). 

Ein Beispiel einer sozialpsychologischen Studie zum Rebound-Effekt: Dieser ist eine Art «mentale Buchhaltung», das heisst, sich in einem Fall korrekt zu verhalten gibt einem die Erlaubnis, das im anderen Fall nicht zu tun. Dass dieser Effekt auch beim Klimaschutz eintritt, fanden Psycholog:innen der Universität Genf heraus. Zum einen à la: der grüne Velofahrer, der sich jährlich einen Flug gönnt. Und zum andern so: Wer dank der Solaranlage auf dem Dach weniger für den Strom zahlt, investiert das gesparte Geld in Konsum und nicht in weitere Energiemassnahmen, denn man hat ja schon etwas Gutes getan (mehr in der Kolumne: Mein Tipp, kein Tipp).

Dem Handlungsdruck mit der Verbreitung von Informationen zu begegnen, ist nachvollziehbar und mag ein Ventil sein; dem Klima indes nützt es wenig. Es ist reichlich kleinlich, bei der Notwendigkeit einer Reduktion von Abermilliarden von Tonnen CO2 mit viel Einsatz einzelne Kilos über freiwillige Verhaltensänderung einzusparen. Verhaltensänderungen werden erst relevant, wenn sie massenhaft geschehen. Doch massenhaft geschehen sie freiwillig nur dann, wenn damit eine Gefahr unmittelbar abgewendet werden kann. Wie bei Corona: «gut lüften» und «Distanz halten» hilft, eine Ansteckung zu vermeiden. Unmittelbare Effekte treten beim Klimaschutz jedoch nie ein. Weil die Erdatmosphäre ein träges System ist. 

Fürs Klima brauchen wir nicht individuelle Moral, sondern Politik. Und Umweltorganisationen, die sich weniger als Feuermelder und mehr als Bewegungsmelder verstehen und das, was sich in der breiten Gesellschaft bewegt, aufnehmen und verstärken. 

Aufwärmung statt Aufklärung

«Wie uns die lange Geschichte der Unfähigkeit der Menschheit, auf die Klimakrise zu reagieren, gezeigt hat, reicht es einfach nicht aus, Informationen nur auf intellektueller Ebene zu verarbeiten», schreibt die australische Klimatologin Joëlle Gergis im Guardian [15.10.20]. Die Einsicht, dass es nicht primär Aufklärung, sondern vielmehr Aufwärmung braucht, ist bei der Forschungsgemeinde also zumindest zum Teil angekommen.
Öko-rationales Denken, das auf die Verbreitung von Information setzt, übersieht, dass es für den Wandel vor allem auch positive Emotionen braucht. Die Lebensqualität ins Zentrum rücken, der Weg zu einer klimaschützenden Gesellschaft führt über das Wohlbefinden. Natürlich braucht es auch Zahlen; doch schlechte Nachrichten – wie es Klimafakten sind – verleihen nur Empörungsgetriebenen Energie, den Berg zu erklimmen (mehr dazu siehe Kolumne “Zufriedenheit statt Zahlen”).

Klimaorganisationen täten erst recht gut daran, die Konsequenzen aus der Sozialpsychologie zu ziehen, statt weiter Schrecken über überflüssige naturwissenschaftliche Forschungsresultate zu verbreiten: Mehr über “welche andere Arten von Klimaforschung stattdessen” im 2. Teil der Kolumne

Kuno Roth

Unser Autor

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016) sowie «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen ist am 23.10.2020 bei Pro Lyrica erschienen.

Kuno Roth