Zur Information

Bubble by Nick Fewings

Informationsgläubigkeit und -resistenz in einem

NGOs setzen einen Grossteil ihrer Kräfte dafür ein, Informationen zu sammeln, aufzubereiten und zu verbreiten. Sie erhoffen sich von dieser Art Aufklärung, dass sich bei «möglichst vielen» Menschen ein Bewusstsein bilde, das wiederum zu sozialerem bzw. umweltverträglicherem Verhalten führe.

Nichts deutet darauf hin, dass das wie beabsichtigt funktioniert - insbesondere beschränkt sich das Möglichst-viele auf den Kreis der schon Überzeugten, man beschränkt sich de facto auf die eigene Blase und kommuniziert unter Seinesgleichen. Ausserhalb dieser Bubble ist von einem Nulleffekt oder gar von einem gegenteiligen Effekt auszugehen. So wurde die zweite Gotthardröhre vom Volk angenommen, obwohl seit 40 Jahren über das Übel Abgase und Verbetonierung informiert wird. Und Plastik wird nicht wegen Informationen weniger verwendet - jahrelang wurde über die Plastikproblematik informiert ohne ‘Ausserblase’-Effekte. Merkbare Wirkung trat erst ein, als z.B. für Plastiksäckchen eine Gebühr erhoben wurde und sie nicht mehr einfach gratis zur Verfügung stehen (mehr dazu  “Wegsteuern”). 

Ein besonders bemerkenswertes Phänomen ist in diesem Zusammenhang, dass bei ein- und derselben Person Informationsgläubigkeit und -immunität auftreten können. Das geht meiner Freundin K. und mir zum Beispiel so. Ich versuche seit Jahren, sie durch gezielte Informationen vom Coca-Cola-Trinken abzubringen. Doch weder die erwiesene Ungesundheit des Getränks noch die Tatsache, dass Coca-Cola Gewerkschaftsrechte in Bolivien mit Füssen tritt, beeindrucken sie. Sie ist im Cola-Fall informationsresistent.

Man weiss es zwar, aber ...

Handkehrum glaubt sie selber felsenfest daran, dass mit Information Verhaltensänderung bewirkt werden kann. Als eine der wenigen, die ohne Smartphone überlebt, schiesst sie mit grobem Info-Geschütz gegen diese Errungenschaft. Sie weiss viel. Zum Beispiel, dass die Smartphone-Produktion Unmengen Energie, Rohstoffe und Wasser verschlingt und der Gebrauch Tumore und Vereinsamung fördern soll. Sie informiert mich hartnäckig und will mich zu meinem Besten von meiner Viel-Mobiltelefoniererei abbringen (*). Sie hat wohl schon nicht ganz unrecht. Dennoch kann sie mich nicht überzeugen. Mein Verhalten jedenfalls bleibt unverändert – und ich kaufe auch weiterhin jedes Jahr ein neues Phone. Auf eins mehr oder weniger kommt es ja nicht an. Ausserdem ist das mit dem Tumor nicht sicher, und wir sterben alle irgendwann an irgendwas. Wären Smartphones wirklich schlimm, wären sie ja verboten. Und warum sollte ausgerechnet ich beginnen zu verzichten, wenn es doch so praktisch ist? 

Bref: Trotz gegenteiliger persönlichen Erfahrungen glaubt meine Freundin K. weiterhin tapfer, steter Informations-Tropfen höhle irgendwann meinen Stein des Widerstands. Auch wenn solche Aufklärung offensichtlich oft bloss zu Abgeklärtheit führt und die Ausredenvielfalt erhöht. Das Sein bestimmt eben das Bewusstsein: Und weil ich mir mein Sein mit Smartphone eingerichtet habe, ist die entsprechende Bewusstseins-Türe geschlossen.

Das heisst aber nun nicht, dass Informationen nie Wirkung hätten. Sie werden zumindest in folgenden Fällen auf- bzw. angenommen:

  1. Überzeugte lassen sich gerne ihre Überzeugung bestätigen (Bubble-Effekt, z.B. in Facebook-Gruppen)
  2. An einem Thema Interessierte vermehren gerne ihr Wissen und nehmen Informationen auf.
  3. Öffentliche Personen wie Direktorinnen oder Gemeindepräsidenten beachten News, die ihre Firma oder Gemeinde betreffen, weil sie meinen, sie stünden ständig unter Beobachtung.
  4. Kann man dank Informationen eine Gefahr abwenden, wie z.B. beim Corona-Virus, wendet man sie an.
  5. Informationen, die eine vorhandene Absicht zu einer Handlung bestätigen, können auslösende Wirkung haben.
  6. Will man etwas zum Laufen bringen, ein Gerät oder eine Wanderung z.B., werden Gebrauchsanweisungen bzw. Wegbeschreibungen gelesen.

Wie dem auch immer sei, mittlerweile verschone ich meine Freundin mit Informationen wie, dass Coca-Cola in Indien Brunnen zum Versiegen bringt, weil ein Liter Cola neun Liter Trinkwasser braucht. Ich bin offenbar der falsche Absender, um sie von ihrem Laster zu befreien. Hoffen kann ich noch darauf, dass eines Tages eine ihr unsympathische Person für Coca-Cola Werbung macht. Dann würde sie wohl aus Trotz von diesem Gebräu lassen. Das wäre ein ähnlicher Effekt wie, dass George W. Bush mit dem Irakkrieg die Friedensbewegung reaktivierte oder Donald Trump die Klimabewegung stimulierte.

Doch weiterhin  fliessen grosse Teile der Ressourcen der NGOs in die Beschaffung, Aufbereitung und Verbreitung von Informationen. Zwar wirken für schon Überzeugte solche Informationen als Bestätigung und als Spendenkitzel. Zwar sind Investigationen und Recherche wichtig, um Entscheidungsträger fundiert an ihre Verantwortung zu erinnern. Zwar braucht es Wissen, um die eigene Strategie zu fundieren. Doch ausserhalb der Blase haben Informationen kaum Wirkung. Weil es zur Ansprache eher eine Aufwärmung als eine Aufklärung braucht.

Das nur zur Information.

PS: Damit ist natürlich die Frage gestellt: Was denn sonst? Was “mehr Aufwärmung und weniger Aufklärung” bedeuten kann, steht hier. Kernaussage daraus: Es reicht nicht, mit Zahlen und Informationen Menschen rein kognitiv anzusprechen; Emotionen (nicht Affekte) sind wichtiger. Denn: Was machen die Leute mit den Informationen? Etwas spenden, okay. Und sonst? Nicht alle interessieren sich für technische oder naturwissenschaftliche Wissens-Aspekte von Umweltproblemen.

Zudem, und wie eigentlich schon lange bekannt: Storytelling! Neue Narrative, Geschichten erzählen, die fühlen lassen, dass ein anderes, gutes Leben als ein konsumistisches funktioniert. Das wäre post-Covid besonders wichtig. Aber nicht Geschichten, bei welchen man gleich vermutet, ah, jetzt wird wieder eine Story getellt: Man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Ein umfassendes Konzept einer anderen Art Campaigning, das auf der Imagination “Was wäre wenn” beruht, bietet die Transition-Town-Bewegung mit dem “Sundial”. Davon mehr in einer nächste Kolumne.

* das “Ich” in dieser Kolumne ist ein fiktives Ich, das aus dem realen Leben gegriffen ist

Kuno Roth

Unser Autor

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016) sowie «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen ist am 23.10.2020 bei Pro Lyrica erschienen.

Kuno Roth
Kuno Roth «Klima Vista»

PPS:

Die Berner Vernissage des KL!MA VISTA-Gedichtbandes unseres Kolumnisten Kuno Roth findet statt am Donnerstag, 2. Dezember 2021, um 19 Uhr 30, in der Buchhandlung LibRomania, Länggass-Strasse 12, 3012 Bern - eine Lesung umrahmt mit Gitarrenmusik von Roger Schütz. Wegen Corona ist die Platzzahl eingeschränkt und eine Reservation obligatorisch.

Ausserdem steht ja Weihnachten schon bald vor der Tür, das Jahresende ebenfalls und damit auch Ostern ... Wir empfehlen “Kl!ma Vista” als Geschenk oder Mitbringsel. Hier der Link für die Bestellung bis am 4. Dezember zum Subskriptionspreis von 24.50 Franken für die 2. Auflage.
Weitere Kl!ma-Vista-Lesung: Freitag, 3. Dezember, 20 Uhr, im Paradiesli Sigriswil.

Kuno Roth «KL!MA VISTA»