Eleftherios Aghios' Fischerboot in Chalkida, Griechenland

Fragen statt sagen

Greenpeace war den Fischern der griechischen Inseln lange Zeit egal; später eher ein Dorn im Auge, weil die Umweltorganisation besser als die Fischer zu wissen meinte, wie das EU-Fischereigesetz revidiert werden muss. Die Campaigner versuchten mit Lobby-Aktivitäten und Aktionen, ihren Vorschlag durchzubringen, doch es geschah nichts. Bis Greenpeace Griechenland wegen der Wirtschaftskrise und dem befürchteten Spendeneinbruch neue Kampagnen-Ansätze ausprobierte. Unter anderem deshalb gingen vor vier Jahren eine Handvoll Greenpeace-Leute zu den Fischern. Und die Umweltschützer*innen hörten diesen zum ersten Mal zu. Einmal. Zweimal. Beim dritten Besuch kamen sie zum einen mit einem Vorschlag für die Revision des EU-Gesetzes, der die Anliegen der Fischer berücksichtigte und von ihnen mitgetragen werden konnte. Und zum anderen kamen sie mit einem Angebot: Nämlich dass Greenpeace mithelfen würde, Fisch über die Mitglieder von Greenpeace Griechenland zu vertreiben und mit Freiwilligen auch auszuliefern. Dieses Angebot, selber anzupacken, liess bei den Fischern Vertrauen wachsen. So konnte kein ökologisch-ideales, aber doch ein gutes EU-Fischereigesetz durchgesetzt werden. Und Greenpeace Griechenland konnte den Mitgliederschwund aufhalten, weil die Organisation auf Partizipation in ihren Kampagnen setzt. Fragen kommt vor dem Sagen, lautet die Einsicht meiner griechischen Kolleg*innen.

Dass Fragen fruchtbarer ist als Sagen, kennt man aus der systemischen Psychotherapie und dem Coaching. Vielleicht, so mein Vorschlag, müssten sich Campaigner*innen vermehrt als gesellschaftliche Coachs und weniger als Mobilisierungsprofis oder gar als Feldherren einer Schlacht gegen das Böse sehen. Und damit die Fähigkeit entwickeln, allen Beteiligten und Betroffenen gut und ernsthaft zuzuhören, um deren Bedürfnisse und Interessen verstehen zu können (siehe Kasten «Fragen des Coachings»). Und erst dann - und zusammen - handeln.

Kampagnen beabsichtigen gesellschaftliche Änderung. Und klar, eine solche bedarf einer gewissen Breite realer Beteiligung. Breite wird zum Beispiel dann erreicht, wenn ein Thema zur Sache einer Real-Change-Bewegung wird. Jedes Kampagnenross muss mit einem Bewegungspflug verbunden sein, der das Feld der Gesellschaft pflügt. Sonst wird das Ross bloss über den Acker gejagt und wirbelt nur etwas Staub auf. Ross und Pflug müssen aufeinander hören, und die Verbindung von Ross und Pflug heisst Mitwirk-Kampagne – auch partizipatives, solution oder open Campaigning genannt –, um reale Veränderung zu erreichen und nicht nur Symptome zu bekämpfen. Diese Art Campainging ist grundlegend anders als die von Dringlichkeit getriebenen Kampagnen und basiert auf dem Verständnis, dass die verschiedenen Akteure unterschiedliche Rollen aber nicht Wertigkeiten haben (siehe Kolumne «Slow Campaigning»).

Das ist nicht neu, vieles ist schon versucht und getan worden. Nur scheint es mir, dass das Partizipative, also die wirkliche und nachhaltige Beteiligung der Angesprochenen und Betroffenen nur selten gut gelingt. Als Grund für mangelnde Partizipation wird oft angeführt, die Konsumgesellschaft mache halt passiv. Das mag stimmen, doch ist es nicht der einzige Grund. Ich vermute, es gibt mindestens zwei «“hausgemachte»” Faktoren für diesen Mangel: Erstens, die partielle Unfähigkeit gut fragen, beobachten und zuhören zu können sowie selber partnerschaftlich mitzuarbeiten (siehe dazu Kolumne «Partizipation: Ja, aber wie?»). 

Und zweitens die Dominanz des Tuns. Zuhören, Vertrauen aufbauen und zur Zusammenarbeit finden braucht Zeit, was der Dringlichkeit des Tuns entgegen läuft. Klar, manchmal geht es ums schnelle Handeln; in einer Notsituation sowieso. Aber selbst in dieser kann es Sinn machen, kurz innezuhalten und dann erst zu handeln. Rennt man sofort einfach los, kann man die falsche Richtung einschlagen. Aber nicht alles, was man als Notfall zu erkennen glaubt, ist auch wirklich einer. Neben den echten Dringlichkeiten gibt es haufenweise aufgeplusterte, die nur so tun, als ob sie dringlich wären (siehe «der Prioritäter»). Und so erhält das Tun in vielen Kampagnen per se Priorität, kreative Musse nicht.

Zu tun ist natürlich nicht an sich falsch und muss auch nicht zu blindem Aktivismus führen. Doch die «Hauptsache getan»-Haltung ist problematisch. Der fehlenden Nachhaltigkeit wegen: Es gibt kaum schnelle, rein ökologische Lösungen, sondern meistens nur sozial-ökologische langfristige. 

Die Dominanz des Tuns zieht eine Zuhörschwäche nach sich. Schon im Voraus zu wissen, was Sache und was zu tun ist, verhindert, andere Sichtweisen wahrzunehmen und einzubeziehen. Solches zu tun, Betroffenen und Beteiligten zuzuhören und ihnen Fragen zu stellen, wird als vergeudete Zeit empfunden, weil vor allem wichtig sei, dass die Message klar ist. So wie das bei der griechischen Fischerei-Kampagne am Anfang der Fall war. 

Beobachtungs- und Zuhörschwäche kann dazu führen, dass die «Theory of Change» (ToC) einer Kampagne zur Hypothese mutiert, die es zu bestätigen gilt. Anstatt die ToC bewusst als eine Fiktion zu nehmen, was hiesse, mit ihr als eine erste Einschätzung zu starten und sie im Zuge der Kampagne zusammen mit den Beteiligten dauernd den Realitäten anzupassen und zu verfeinern. Und weil die ToC fiktiv und nicht reale Praxis ist, sollte sich Kampagnenstrategien weg von fixen Zielen, Einweg-Kommunikation und Handlungs-Appellen hin zum aktiven Begleiten beim partizipativen Campaigning kommen. 

Campaigning ist im Wandel, zum Beispiel eben bei Greenpeace. Frühere gängige Kampagnenpraktiken wie etwa die Bevormundung (das heisst, das Zielpublikum war Objekt, dem man die «Kampagnenmessage rüberbringen muss») oder die Hit-and-Run-Taktik (das heisst geheim recherchieren, schnell zuschlagen und gleich wieder verschwinden) sind selten geworden. Es gibt sie  und ähnliche Praktiken zwar wegen vermeintlichem Zeitdruck immer noch, doch steht in der internen Policy für Kampagnen mit indigenen Völkern nun, dass die Hit-and-Run-Taktik «vorhandene Machtdynamik zementiert und die Bedürfnisse, Handlungsspielräume und Autonomie der Gemeinschaften nicht respektiert», sowie dass ein gemeinsames Verständnis gefunden und die Art der Zusammenarbeit vereinbart werden muss, bevor etwas getan wird. 

* nacherzählt aufgrund eines mündlichen Berichts eines griechischen Kollegen

 

Fragen im Coaching

Wie das aktive Zuhören, ist auch das gute Fragen eine Kunst. Das heisst, keine rhetorischen oder moralischen Fragen zu stellen, sondern so zu fragen, wie es ein/e Coach täte. Nämlich:

  • systemisches Fragen – die Sichten aller Akteure einholen, das Umfeld abklopfen
  • paradoxes Fragen à la: «Was müssten wir tun, damit die Kampagne sicher misslingt?»
  • skalierendes Fragen, d.h. etwas auf einer Skala 1-10 bewerten (das ist beispielsweise dann hilfreich, wenn es um eine Bewertung von Entscheidungsoptionen geht). 
  • hypothetisches Fragen, also Fragen mit «Gesetzt den Fall ...» oder «Stell dir vor ...» 

Das heisst, offene Fragen; geschlossene Fragen werden fast nur für Abstimmung oder Klärung gebraucht.

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Kuno Roth

Unser Autor

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind “Im Rosten viel Neues” (Gedichte, 2016) sowie “Aussicht von der Einsicht” (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen erscheint am 23.10.2020 bei Pro Lyrica

Kuno Roth