Gletschervorfelder im Brennpunkt zwischen Schutz und Nutzung
Sensibilisierung tut Not
Bild: Gletschervorfeld des Porchabella Gletschers (© Gianni Baumann)
Eine wichtige Aufgabe wartet auf uns: Nämlich die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, wie wertvoll Gletschervorfelder sind und wie Klimaschutz und Energiewende gelingen, ohne diese einzigartigen Gletschervorfelder unwiderruflich zu zerstören.
Dazu hat Kampagnenforum diese Woche an einer sehr interessanten Fachtagung teilgenommen: “Gletschervorfelder im Brennpunkt zwischen Schutz und Nutzung”, organisiert von Aqua Viva, Pro Natura und Mountain Wilderness.
Mit dem Begriff Gletschervorfeld versteht man das ökologisch wertvolle Gebiet zwischen der Gletscherzunge und der Endmoräne. Im Rahmen des Klimawandels, wo sich die Gletscher zurückziehen, entstehen neue Gletschervorfelder. Diese sind wie Auenlandschaften einzigartig und wunderschön anzuschauen. Sie sind höchst dynamisch, strukturell vielfältig, ein Hotspot von Biodiversität und wohl eines der letzten Rückzugsgebiete für seltene Pflanzen und Tiere, die aus ihren ursprünglichen Habitaten vertrieben werden.
Die Herausforderung: Schutz versus Nutzung
Diese Zonen sind hart umkämpft. Im neuen Stromgesetz (Mantelerlass) hat die Stromlobby sich die Option offen gehalten, dass die Gletschervorfelder geflutet und für Stauseen zur Erzeugung von Wasserkraft-Strom genutzt werden könnten (siehe Triftgletscher, Gorner- oder Oberaletsch). Damals, am sog. Runden Tisch und als der Mantelerlass verhandelt wurde, mussten die Umweltorganisationen in den sauren Apfel beissen und akzeptieren, dass alle neu entstehenden Gletschervorfelder zukünftig zur Stromproduktion mittels Wasserkraft genutzt werden könnten. Für die Teilnehmer:innen der Fachtagung war aber klar, dass die Energiewende nicht auf Kosten der letzten Flecken unberührter Natur, der Biodiversität und des Landschaftsschutzes erfolgen darf.
“Energiewende auf die Dächer, nicht in die Natur!”
Wir stehen vor der Herausforderung, der Öffentlichkeit und der Politik begreiflich zu machen, dass die Energiewende nicht auf dem Buckel der unberührten Natur passieren darf: Vielmehr kann die Energiewende etwa viel stärker mit erneuerbaren Energien wie Solaranlagen auf den Dächern in den Städten und der schon gebauten Infrastruktur erfolgen.
Auch müssen wir hinterfragen, ob der prognostizierte zukünftige Energiebedarf überhaupt plausibel ist. Verschiedene NGOs haben ausgerechnet, dass ein Strombedarf von 2 Terawatt eigentlich zu hoch gegriffen ist - und für die Stromerzeugung weder neue AKWs, fossil betriebene Kraftwerke noch neue Stauseen in unberührter Berglandschaft gebaut werden müssen. Für unseren Partner ‘négaWatt’ haben wir hierzu bereits vor drei Jahren entsprechende Schwerpunkte aufbereiten können.
Was könnte die Lösung sein? Die technischen Mittel sind vorhanden. Doch es braucht einen grösseren Narrativ, der Klimawandel, Energiewende, aber eben auch Landschaftsschutz und Artenschutz zusammenführt. Und das verständlich der Öffentlichkeit und unseren politischen Entscheidungsträger:innen kommuniziert. Sensibilisierungs-, Mobilisierungs- oder Abstimmungskampagnen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Unser Autor
Matthias Wüthrich ist seit über 20 Jahren als engagierter Kampagnenexperte in der Schweizer Politik und Zivilgesellschaft aktiv. Bei Kampagnenforum bringt er seine umfassende Erfahrung in strategischer Kommunikation, Mobilisierung und Advocacy ein. Er hat Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich studiert und einen Master in Communications Management (MSCom) an der USI. Matthias steht für innovative, wirkungsvolle Kampagnen, die gesellschaftlichen Wandel vorantreiben.